17. Oktober 2016

Bitcoin

Es gibt Dinge im Netz, die kommen und gehen. Andere Dinge haben bleibenden Status und sind nicht mehr wegzudenken. Wer kennt heute noch AOL oder Compuserve? Wer nutzt heute noch ICQ oder Netscape?

Dinge aber wie Wordpress (oder das Bloggen im Allgemeinen), Wikipedia oder Paypal – letzteres beständiger als der eBay-Schoss, aus dem es einst entsprang – sind nicht mehr wegzudenken. Was Messaging Tendenzen wie Twitter, Instagram oder Snapchat angeht wird es so sein, wie mit all diesen Tools. Sie werden ständig modifiziert und manchmal aufgekauft. Substanziell und bleibend ist hier nur die Kommunikation selbst.

Eines der Dinge, die sich rasant verbreitet haben, nennt sich „Bitcoin“. Und ich nehme es mal stellvertretend für alle neuen Währungen, die derzeit im Internet als neue Zahlungsmedien entstehen. Ich bin jetzt Besitzer einer Bitcoin-Geldbörse, einem „Wallet“ und verfüge damit über virtuelles Geld, dessen Wert aber ein reales Pendant in den realen Währungen hat. Und wenn ich das jetzt geschrieben habe, dann ist das eigentlich falsch, denn es ist viel zu kurz gedacht. Ein typischer Gedanke aus einer Übergangszeit, an deren Anfang wir uns gerade befinden.

Ja, ich würde es gerne besser erklären. Ich versuche es mal. Das ist nicht nur in technischer Hinsicht schwer zu erklären (und ich bin mir nicht sicher, ob ich alles durchschaue).

Bitcoins sind aus dem Stadium, eine virtuelle Fantasie-Währung zu sein, längst herausgetreten. Die größte Hürde hierfür ist die Wertschöpfung selbst und ein zunächst nicht vorhandener Einklang mit einer dezentralen Struktur. Konkret: Wenn ich mich beim einem Bitcoin-Dienstleister anmelde nutze ich eine Software, die sich in ein dezentrales Netzwerk („Peer-to-Peer“) eingliedert. Transaktionen laufen dezentral und in Echtzeit, was das Prinzip „Bank“ und jede Regulierung überflüssig macht. Dieses Hauptmerkmal ist auch gleichzeitig der vermutlich einzige Grund, warum wir noch Geldbörsen haben und sich dieses Prinzip nicht längst durchgesetzt hat. Es greift zwar keine kapitalistischen Prinzipien, wohl aber die bestehende Struktur unseres Finanzsystems massiv an. Bitcoins sind daher vermutlich die Währung der Nerds und der Revoluzzer unter den Digital Natives, der Generation, die bereits mit dem Internet aufgewachsen ist. Das hört sich abfällig an, aber ich bin ja an diesem genialen Prinzip sehr interessiert. Und ich bin absolut sicher, dass wir schon bald nicht mehr über „den EURO“ nachdenken. Je weiter die Wertschöpfung in diese neue Währung verlagert wird, desto mehr werden Bitcoins und traditionelle Währungen die Rollen tauschen. Es dauert seine Zeit. Das sind massive Paradigmenwechsel, die nötig sind, um uns vom liebgewonnenen Geld, das in der Hosentasche klimpert, zu entwöhnen. Und es wird natürlich Versuche im traditionellen Finanzsystem geben, diese Entwicklungen zu verhindern. Diese Entwicklung kann aber nur behindert werden – aufhalten lässt sich dieses Prinzip meiner Meinung nach nicht.

Paypal macht es ja quasi vor. Paypal und Bitcoin haben aber nur eines gemeinsam – eine Plattform als Stellvertreter für traditionelles Geld zu sein. Bitcoin ist umfassender. Es gibt keine Institution außer der „BlockChain“ hinter der dezentral alle User stehen. Wie läuft das praktisch ab?

Zunächst suche ich mir einen Bitcoin Client. Den gibt es für jedes Desktop- und für jedes mobile Betriebssystem. In ihm erstelle ich eine Wallet, also eine virtuelle Geldbörse. Diese virtuelle Geldbörse ist nicht statisch. Ich kann sie mit einer Passphrase weitergeben (und so zum Beispiel meinen Bitcoin-Nachlass regeln ;-) )

Dann muss ich einen Schritt machen, der in Zukunft komplett wegfallen wird, im Moment aber noch notwendig ist. Ich muss Bitcoins kaufen. Das mache ich über eine Verbindung zu meinem realen Bankkonto bzw. meiner Kreditkarte. Der Preis fluktuiert ständig, wie bei anderen Währungen auch. 1 Bitcoin hat einen Gegenwert von derzeit 640 USD.

Bevor ich zum interessanten Teil komme, nochmal der Hinweis: diese Umrechnung ist anachronistisch, denn wenn alle Menschen Bitcoins verwenden und alle Institutionen und Geschäfte eine Zahlung mit Bitcoins zulassen würden, wäre der nun folgende Teil noch viel interessanter. Die Zahlung erfolgt an eine Adresse, die wie eine temporäre Kontonummer fungiert. In dem konkreten Fall, für den ich meinen Bitcoinzugang angelegt habe, hat mir der Empfänger eine Adresse mitgeteilt, die aus 32(?) Stellen, Buchstaben und Zahlen bestand. Über meinen Client habe ich den Gegenwert von 20,- EUR als Bitcoins an diese Adresse geschickt. Die Transaktion war sofort abgeschlossen. Jetzt muss man sich nur noch vorstellen, dass diese Adresse natürlich nicht eingetippt wird. Sie kann theoretisch in einem Bild stecken, in einem QR-Code, einem Barcode, auf dem Display eines Smartphones etc.

In einem Supermarkt würde das so aussehen: Ein Einkauf würde dann mit der Kamera meines Smartphones gemacht werden. Diese liest die Bitcoin Empfangsadresse und ich autorisiere die Zahlung aus meinem Bitcoin-Client mit meinem Fingerabdruck. Das ist nicht futuristisch – das ist problemlos zu realisieren. Es bräuchte technisch nur minimale Veränderungen, denn die Infrastruktur existiert bereits in fast jeder Hosentasche. Aber es ist, wie gesagt, die Macht der Gewohnheit und die Wertschöpfungsketten innerhalb bestehender Finanzstrukturen, die das (noch) nicht zulassen. Der Handshake zwischen Supermarktkasse und meinem Smartphone benötigt keinen Zwischenschritt mehr über ein Geldinstitut. Beide sind in demselben Netzwerk.

Was die Sicherheit angeht, so ist diese, gerade weil es diesen Zwischenschritt gibt, nur noch von Brain.exe des Zahlers abhängig. Gebe ich meine Passphrase heraus, dann sind die Bitcoins futsch. Das ist also nicht schlechter oder besser als heute, aber es entfällt das Risiko, dass mein Geld von meiner Bank spekulativ auf dem Finanzmarkt pulverisiert wird. Das ist eine Erfahrung, die jenseits unserer Vorstellung liegt, aber sicher möglich ist. Fragen sie einfach mal die ehemaligen Kunden der „Lehman Brothers“. Bitcoins sind dahingehend sicher, dass sie dezentral sind und jenseits aller Spekulation existieren. Ihr Wert kann nicht gesteuert werden, mit ihrem Kurs kann nicht spekuliert werden.


Das eben beschriebene Zahlungsprinzip gibt es schon. Es gibt bei großen deutschen Discounter schon die Möglichkeit, mit einer einfachen Karte zu bezahlen. Bitcoin geht einen Schritt weiter. Es braucht keine Karte bzw. keine Instanz mehr, die so eine Karte ausgeben und verwalten muss. Es gibt keine Konten mehr im klassischen Sinne. Ich würde morgens mit meinem Smartphone statt Türkarte das Gebäude meines Arbeitgebers betreten und am späten Nachmittag wieder verlassen – die Arbeitszeit wird sofort amortisiert als Bitcoins und meinem „Wallet“ abgelegt. Einkäufe im Netz sind direkt mit der Wallet verbunden. Einkäufe in der realen Welt laufen über einen Scan der Produkte in meinem Einkaufswagen. Der übernächste Schritt ist dann naheliegend: die Finanzen und die Dienstleitungen werden entmenschlicht – darüber aber zu spekulieren und hier Pro & Contra abzuwägen, nun, dafür ist es jetzt noch viel zu früh. Das Paradoxe dabei: würden sich Bitcoins durchsetzen, wäre das der ultimative Sieg der Neoliberalen, denn Bitcoins benötigen keine Regulierungen. Sie regulieren sich selbst und reflektieren dann auch alle menschlichen Eigenschaften. Und nichts prägt unser Verhalten so sehr, wie die Gier … .

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