29. Juli 2014

Lieber Stan ...

Das Schlimmste überhaupt ist, dass man Stan Laurel keine Briefe mehr schreiben kann. Man kann natürlich schon. Aber da, wo er jetzt ist, gibt es vermutlich keine Zustellung. Es geht ja auch gar nicht um den Brief. Es geht um die Möglichkeit und die sehr große Wahrscheinlichkeit, dass Stan diesen Brief auch beantwortet hätte.

Lieber Stan,

es gibt da eine Szene, da muss ich jedes Mal, wenn ich sie sehe, Tränen lachen. Ich habe keine Ahnung, worum es in der Szene geht und welche Rolle die Frau an dem Nebentisch spielt. Ich kann auch den allerletzten Satz nicht genau verstehen, aber das ist auch ganz egal. Wenn es mir schlecht geht und ich Lachen möchte, dann schaue ich mir diese Szene an:


   

Die wirklich wichtigen Dinge, lieber Stan, sind zeitlos. Sie können schwarz/weiß sein, sie stehen für sich, ohne Kontext, sie können stumm sein - ach, wem schreibe ich das! Wenn das einer weiß, dann ja wohl Du.

Buster Keaton soll auf Deiner Beerdigung geweint haben. Ein Jahr später, ist er Dir in den Himmel gefolgt. Dort ist auch Dein genialer Partner Oliver Hardy. Euch - und allen anderen, die wissen, was wirklich wichtig ist, sei schlicht und einfach gesagt, dass Eure Message heute noch ankommt. Ihr seid nicht mehr da und dennoch kommt Eure Botschaft bei mir an. Als Kind habe ich „Dick & Doof“ geguckt und konnte mich nie entscheiden, wer der Bessere war. Ich habe mich - eher unbewusst, aber bestimmt - dazu entschieden, beide Eigenschaften in mir selbst zu vereinen. Wer mich „dick & doof“ nennt, macht mir ein Kompliment und weiß es nicht ;-)

Das Geheimnis der Zeitlosigkeit liegt darin, dass niemand die Zeitlosigkeit erkennt, wenn sie in diese Welt Einzug hält. Oder hast Du gewusst, dass ca. 80 Jahre, nach dem ihr diese Szene gedreht habt ein Mensch diese Video nutzt, um einfach nur mal Tränen zu lachen, völlig grundlos, einfach, um sich besser zu fühlen? Mehr noch - er verbreitet dieses Video auch noch und kann sich sicher sein, dass es allen anderen Menschen, die dieses Video anschauen, genauso gehen wird. Zeitlosigkeit ist die Vereinigung von Gewissheit und Beständigkeit. Was Du geschaffen hast, lieber Stan, ist zeitlos, weil es gewiss beständig ist. Und dafür braucht es manchmal nur ein ansteckendes Lachen.


www.lettersfromstan.com
Und weißt Du, was an dieser Zeitlosigkeit ganz besonders ist? Wäre ich einige Jahrzehnte früher geboren, dann hätte ich Dir diesen Brief ganz konventionell geschrieben. Es gäbe dann zu diesem Brief keinen Blog-Eintrag und kein passendes Video - weil es schlicht noch kein Internet gab - aber es würde ganz sicher eine Antwort von Dir geben. Eine von Tausenden, die Du an Deine Fans geschrieben hast. Und diese Antwort, die wäre sicher irgendwo im Internet zu finden. Das Medium, in dem sich die Zeitlosigkeit offenbart, ist zweitrangig. Zeitlosigkeit, die erkannt wird, hat ihren Gehalt in der Erkenntnis selbst. Das lernt jeder Mensch, dem Du das Lachen gezeigt hast.

Herzliche Grüße
P.

Für den nahezu unmöglichen Fall, dass jemand Stan Laurel nicht kennen sollte:

http://www.laurel-and-hardy.com/

Stan Laurel hat akribisch Kontakt zu seinen Fans gehalten. Er hat in seinem Leben wohl Tausende Fan-Briefe beantwortet. Alle mit derselben Schreibmaschine in Kalifornien geschrieben. Die Seite www.lettersfromstan.com sammelt diese Briefe. Sie sind der Fundus der Zeitlosigkeit. Mit freundlicher Genehmigung der Macher dieser Seite, habe ich auch das obige Bild in diesem Eintrag eingefügt.

www.lettersfromstan.com - The Stan Laurel Correspondence Archive Project.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf die in Kürze beginnenden Stummfilmtage in Bonn aufmerksam machen. Weitere Infos dazu finden Sie hier:

http://www.foerderverein-filmkultur.de/inhalt/stummfilmtage/aktuelles-stummfilmtage/

25. Juli 2014

Im Hundehimmel

Im Hundehimmel schwimmt mein Lieblingshund jetzt hin und her. Zwischen den Leckerli- und den Schweineohr-Inseln ;-)

Ein Hund ist immer ehrlich. Hunde sind die besseren Menschen.

Dana

24. Juli 2014

A Most Wanted Man

Copyright: Senator Film
Man mußte kein Hellseher sein, um abzusehen, dass der große Anton Corbijn seine Geschicke von den einfachen Musikvideos und Bühnenshows zum richtigen Film ausrichten würde. Das erste Regie-Werk „Control“ (2007) war noch ein wenig den Anfängen als Photograph geschuldet. Mit Photos von Ian Curtis wurde Anton Corbijn Anfang der 80er bekannt - daher war es naheliegend, den ersten Spielfilm dem Leben und Sterben des Sängers von Joy Division zu widmen.

Dann kam die erste von der Musik losgelöste Regiearbeit namens „The American“ mit George Clooney in der Hauptrolle. Die Kritiken waren durchwachsen.

Was jetzt aber in die Kinos kommen wird, gehört zumindest was die schauspielerische und dramaturgische Konstellation angeht, in die erste Liga. „A Most Wanted Man“ zeigt nicht nur einige der besten Schauspieler unserer Zeit - allein schon die Romanvorlage von John Le Carre mit dem Titel „Marionetten“ hat einigen Zündstoff. Es geht in diesem Thriller um eine Terrorzelle aus dem Umfeld des 11. September. Große Teile der Handlung spielen in Deutschland.

Ein bitterer Beigeschmack: der Film ist der letzte mit Oscarpreisträger Philip Seymour Hoffman in einer Hauptrolle. Weitere Hauptrollen spielen Robin Wright, Willem Dafoe und Rachel McAdams. Aber auch Daniel Brühl, Martin Wuttke und Nina Hoss sind mit dabei. Ebenfalls, nach langer Zeit mal wieder als Schauspieler unterwegs: Herbert Grönemeyer, der als langjähriger Freund von Corbijn auch den Soundtrack beigesteuert hat.

Der Film ist ganz neu - bis zu einer Rezension wird noch etwas Zeit vergehen. Für alle, die ebenso neugierig sind wie ich, hier ein kleiner Vorgeschmack im offiziellen Trailer des Films:


20. Juli 2014

Shadows Of The Ones We Love

In den 70er Jahren bekam die elektronische Musik ihre besondere Ästhetik. Federführend hierbei die Menschmaschinen von Kraftwerk. In den 80er Jahren ging eine Schere auseinander - Pop und Darkwave. Mittendrin Bands wie Depeche Mode als Konstante. Das setzte sich den 90er und den 00er Jahren fort. Niedliche Tanzbarkeit oder Letargie die Leitmotive, irgendwo zwischen Pet Shop Boys und Anne Clarke. Jetzt greifen „hearhere“ mit ihrem Debüt den Weltschmerz wieder auf und liefern eine neue Interpretation elektronischer Musik. 
 

Von Peter Killert.

„Weltschmerz“ ist sicher eine abgedroschene Vokabel. Aber der Wunsch der Jugend, sich in ersten existenziellen Gedanken und Zweifeln auszudrücken ist in jeder Generation präsent. Die dunklen Augen und Klamotten der Grufties und Waver der 90er Jahre finden sich heute bei den Emos. Was als individuelle Ausgrenzung dient, ist dennoch eine Art kollektive Depression. Was passiert aber, wenn solche Menschen erwachsen werden? Was, wenn aus Zweifeln ein künstlerischer Anspruch erwächst? Was, wenn man die elektronische Musik neu erfinden und Worte für den Weltschmerz finden möchte? Alles schon mal gehört? Alles schon mal gesagt? Mitnichten.

„hearhere“ haben genau das versucht. Ihr Debüt „Shadows Of The Ones We Love“ greift sich das Beste aus Synthiepop, Industrial und Darkwave auf musikalischer Ebene. Textlich bringt Crystin Fawn die Gedanken und Zweifel einer Generation auf den Punkt. Wir sind nur die Schatten derjenigen, die wir lieben. Wir alle wollen eine Vorstellung erfüllen, flexibel sein, die Möglichkeiten als Möglichkeiten erhalten. Und vergessen dabei, konkrete Wege zu gehen.

Diese Komplexität unserer Zeit spiegelt sich im Titelsong, der erst nach etlichen Durchläufen eingängig wird. Zuvor poppige Eintracht. „Do I Have a Flower in my hair or what?“ im Song „Flowers“ - die Stimme der Sängerin erinnert hier ein wenig an „Propaganda“ bei ihrem kaum beachteten Comeback im Jahr 1990. Dann so etwas wie normative Romantik in „The Essential Thing“. Das ist natürlich die Liebe. „The centre of our life should be the love inside“. Das kommt dann textlich Anne Clarke schon sehr nahe. Texte mit melancholischer Substanz.

Da stellt sich die Frage, was die Liebe außerhalb von uns sein mag? Das führt dann unweigerlich zu depressiven Einschüben wie im Song „Anytime“ - das sind Songs, die klarer Hinweis darauf sind, dass „hearhere“ niemals das große Publikum erreichen werden. Es sei denn, die Masse hätte Hermann Hesse gelesen und interpretiert „You could go anytime“ als den beständigen Ausweg, der jedem Menschen jederzeit offensteht - der Steppenwolf zog seine Kraft aus diesem Ausweg. Es macht einfach Sinn, an einen Sinn zu glauben. Eine Alternative gibt es nicht wirklich. „For trying to go on, longing for the sun.“

Wenn eine Band mit vornehmlich elektronischen Mitteln Musik machen möchte, dann hat sie das Problem, dass sie nicht allzu bemüht klingen darf. Das haben „hearhere“ geschickt mit einer guten Mischung aus eingängigen Songs und mehreren Aufforderungen zum Wiederhören umgangen. „Rain“ oder „New Heart“ - meine persönlichen Highlights neben dem Titelsong - sind dafür gemacht, sie immer wieder zu hören. Fenster öffnen, ein Gewitter kündigt sich an. Die Sonne weicht den Schatten. „hearhere“ erfinden die elektronische Musik nicht. Sie interpretieren sie neu.



www.hearhere.de



GIF it to me - Neues von der Bloggerin

Menschen entwickeln sich und die Techniken, wie sie sich der Welt mitteilen, weiter. So auch die Bloggerin, die ich vor einigen Monaten schon einmal entlarvt habe. Das Positive vorweg: Die Bloggerin hat sich weiter entwickelt. Negativ: in keine wirkliche Richtung, wie bei allen Entwicklungen zuvor. Das ist etwas, was einfach dem Zeitgeist geschuldet ist. Sie hat wieder die halbe Welt bereist. Wenn sie überall auf der Welt gleichzeitig sein könnte, sie wäre es.

Sie vermeidet es tunlichst, auf ihre Männer einzugehen. Wenn ich mal ihren latenten Zwangs zu „Erleben“ und nicht nur zu „leben“ als unabänderliche Gegebenheit hinnehme und 90% der Männer, über die sie immer nur beiläufig schreibt, weglasse, so komme ich doch auf mindestens sechs Männer in den letzten fünf Monaten. Hündinnen sind läufig. Sie ist beiläufig.

Damit kein Mißverständnis entsteht: es ist völlig OK, wenn sich eine Frau so verhält, wie es Männer seit Jahrhunderten tun. Scheiß auf die Monogamie. Aber bei ihr ist es so furchtbar… beiläufig. Schlimmer noch. Diese Beiläufigkeit ist ein Stilmittel.

Natürlich ist sie nicht bei Facebook. Natürlich nicht bei Google. Sie ist bei tumblr - solange es noch hip ist. Bei tumblr ist ein Stilmittel das animierte GIF, das von seinen Usern gepostet wurde. GIF bedeutet „Graphic Interchange Format“ und wurde Ende der 80er Jahre von Compuserve entwickelt. Das Format kann 256 Farben und Transparenz dastellen. Man kann es außerdem in Einzelbilder aufteilen, so daß kleine, speicherschonende Animationen entstehen - ein Witz im Zeitalter von YouTube. Aber, es ist ein Trend. Jenseits des Mainstreams. Beiläufig. Die Bloggerin ist dabei. Ein re-animiertes(!) GrafikFormat.


Es gibt noch einen weiteren Trend. Sie will die Grammatik neu definieren und lässt das Subjekt in nahezu jedem Satz weg. Sie lebt ja nicht. Sie erlebt. Sie klammert sich aus und reiht ihre Erlebnisse aneinander. Der Blog verkommt zum Protokoll. Und durch die Aneinanderreihung von Bildern (und animierten GIFs) glaubt sie, einen Stil gefunden zu haben. Ein monatsübergreifender Blogeintrag von einer ihrer Reisen klingt dann etwa so:

Keinen Badeanzug getragen. Die Nächte waren Tage. Glühwürmchen im Sommerhimmel. Frische Erdbeeren auf meiner Waffel. Mich auf einen Freund gefreut und ihn dann vergessen. Am Bahnhof gesessen und die Verspätung des Zuges gar nicht mitbekommen. Vormittags im Bett SEINFELD, die erste Staffel angeschaut. usw. usw.

Dinge, die normale Menschen ab und an erleben. Alle paar Jahre mal. Und Banalitäten. Und überraschende Implikationen von Ignoranz, von eigener, im Kontext des ständigen Erlebens verblüffend plausibler Egozentrik.

Das ist ganz arm. Ich bin mir sicher: diese Bloggerin sitzt zu Hause. So wie einst Whoopie Goldberg in „The Telephone (1988)“. Sie telefoniert, transportiert ihre Welt nach außen, in unzähligen Gesprächen, der Zuschauer wird unterhalten und am Ende stellt sich heraus, dass der Telefonanschluss seit Wochen abgeschaltet ist. Sie lebt in ihrer eigenen Welt. Alleine. Ganz alleine. So wie meine Bloggerin. Das Schlimme daran: sie ist noch das Kreativste, das Faszinierendste, was es an weiblichen Wortführerinnen im Internet gibt.

Die Bloggerin macht es wie Whoopi Goldberg. Internet statt Telefon. Sie klumpt sich ihre Eindrücke aus den Erfahrungen anderer zusammen und vermittelt nach außen den Eindruck eines ereignisreichen Daseins. Das sieht man immer häufiger. Frauen, die einem Stereotyp entsprechen wollen. Oder - und darin unterscheidet sich die Bloggerin von diesen Frauen auch qualitativ ein wenig - die alles dafür tun, nicht stereotyp sein zu wollen. Bis hin zum Selbstbetrug. Was mag aus so einer Frau werden, wenn sie stereotype, konservative Werte verinnerlichen muss, weil ihre biologische Bestimmung es verlangt? Vielleicht erleben wir das ja eines Tages. Ich verfolge sie weiterhin, die Bloggerin, und lasse die Welt wissen, wenn sie über ihren ersten positiven Schwangerschaftstest bloggt. Ich schreibe es bei tumblr. Vielleicht finde ich ein passendes GIF.

9. Juli 2014

Shadows Of The Ones We Love

Ich habe etwas neues entdeckt. Musikalisch. Das Debut der Band "hearhere" ist kürzlich erschienen. Dazu mehr in einem ausführlichen Review im Kultur-Magazin in ca. einer Woche.

Hier schonmal vorab das Video zum dem Titel-Track. Der Song braucht vielleicht ein paar Durchläufe, wird dann aber immer eingängiger. Auch die ersten Eindrücke des gesamten Albums sind sehr positiv.

Hier weitere Infos zu Band: www.hearhere.de

6. Juli 2014

Brot und Spiele - Warum der Fußball Identität erschafft

Im Jahr 2004, exakt 50 Jahre nach dem Gewinn der ersten deutschen Fußballweltmeisterschaft in Bern, erschien in der Süddeutschen Zeitung ein Leitartikel über die historische Bedeutung dieses Ereignisses. Die Deutschen waren und sind sich einig: diese Weltmeisterschaft war wichtiger, als die Einführung des Grundgesetzes, die Währungsreform oder der Mauerfall. 2014 fiebert nun ganz Deutschland einem weiteren Titel entgegen. Am anderen Ende der Welt vertreten 23 Spieler und ein Trainerteam eine Nation, die wie kaum eine andere ihre Identität über das runde Leder definiert.

Von Peter Killert.


Deswegen gibt es quasi 80 Millionen Bundestrainer, die sich über die Position eines Schlüsselspielers wie Philipp Lahm echauffieren. Deswegen glauben wir alle, mitreden zu wollen. Fußball ist nicht sinnstiftend - Fußball schafft Identität. Besonders in Deutschland.

Es ist ohne Frage besser, wenn sich Nationen auf dem Rasen bekämpfen und ihren Stellenwert durch das Nachjagen hinter einen Lederball unter Beweis stellen. Denn es ist erst etwas mehr als siebzig Jahre her, wo dies auf den Schlachtfeldern ausgetragen wurde. Die Erbfeindschaft zwischen Frankreich und Deutschland gibt es nicht mehr. Auf England und Deutschland wartet irgendwann bei den kommenden Turnieren wieder ein Elfmeterschießen.

Das Fußballfeld also hat das Schlachtfeld ersetzt. Und dafür gibt es einen einfachen Grund: Fußball ist deswegen identitätsstiftend, weil es Emotionen binden und äußern kann. Emotionen wiederum sind - bei unterschiedlicher Kultur und Sprache der Nationen über verschiedene Kontinente hinweg - eine universelle Sprache. Die stärksten Emotionen entstehen durch Gewinn und Verlust. Ein zyklischer Prozess, der für die Erneuerung von Identität unerlässlich ist. Alle vier Jahre wird dieser Zyklus neu initiiert - und er ist für einige Wochen allgegenwärtig. Das Fußballspiel und seine Stadien sind die Container einer primitivsten, aber alles vereinenden Kommunikation in Form von Emotionen. Das Gefühl des Verlierens, das Gefühl des Gewinnens, des Glück-Habens, des Betrogenseins vom Schiedsrichter - das Fußballspiel impliziert die einfachen Facetten von tiefer Emotion.

Es gibt nur eine Sache, außer dem Spiel, was dies ebenfalls leisten kann: der Kampf auf Leben und Tod. Brot und Spiele und den Gladiatoren zusehen. Oder einen Krieg erleben. Beim Fußball geht es nicht um Leben und Tod. In vier Jahren kann eine Nation wieder auferstehen. Das Blut, die Endgültigkeit, wurde durch den Vier-Jahres-Zyklus der Fußballweltmeisterschaften ersetzt.

Die im Vergleich zum Krieg und Gladiatorenkämpfen nicht existenzielle Komponente des Fußballspiels hat noch einen weiteren positiven Nebeneffekt: anstatt die Schlachtfelder von blutigen Leibern zu befreien und Geld für Waffen auszugeben, wird in Infrastruktur investiert. Und in die Tempel der Emotionen, den Fußballstadien.

Dass dies zu Lasten von ausgebeuteten Menschen und den Verlierern einer Gesellschaft passiert, kann jedoch nicht dem Fußball angelastet werden. Das passiert sowieso täglich. Menschen in Asien werden in Textilfabriken ausgebeutet, nebenan werden von ausgebeuteten Arbeitern Smartphones zusammengesetzt, hierzulande bedeutet einmal Hartz IV, immer Hartz IV. Und ob die Menschen in den Favelas in Rio einen besonderen Nutzen von der Fußball WM haben werden - eben auch nach dem 13. Juli - ist mehr als fragwürdig.

Im Gegensatz zu anderen Ungerechtigkeiten hat der Fußball jedoch eben genau diese übergeordnete Ebene, in der sich der Rest der Welt tatsächlich vereint wiederfinden kann. Der Gegensatz zwischen dieser Ebene und der Realität lässt sich darauf zurückführen, dass wir eigentlich noch am Anfang der Globalisierung stehen. Die gemeinsame Sprache kennt noch keine Worte, eben nur Emotionen. Sie braucht aber Worte, um sich definieren und damit ändern zu können. Oder anders formuliert: ein Fußballspiel hat global gültige Regeln - die Globalisierung bisher nicht. Der Prozess der Betrachtung einer Notwendigkeit solcher Regeln ist im vollen Gange. Dabei helfen natürlich auch die Nachrichten aus dem Nicht-Fußball Kontext rund um Brasilien. Frei nach dem großen Philosophen Henri Bergson: „Bewusstsein von Etwas zu haben heißt, dieses Etwas in Kenntnis des Vergangenen zu betrachten.“

Die viel belächelten Parolen von UEFA und FIFA haben so wirklich einen tieferen Sinn. Und wer „No To Racism“ belächelt, darf trotzdem konstatieren: Schaden tut es nicht, normative Ansprüche vom Kapitän einer Nationalmannschaft zu hören. Wir müssen wenigstens den Anspruch formulieren, in einer Welt ohne rassistischer oder sozialer Unterdrückung leben zu wollen. Die UEFA beispielsweise beendet eine Werbepause in der Champions-League immer mit einem passenden Spot zu diesem Thema und zwingt Fernsehanstalten in ganz Europa dazu, auf ein bis zwei Minuten lukrativster Werbezeit zu verzichten. Denken wir weiter: Der Schritt, die FIFA von ihrem zwielichtigen Patriarchat zu befreien, ist zwangsläufig. Worte werden immer von Taten begleitet. Es dauert nur manchmal etwas.

Wer auch immer in das Finale einziehen wird und am 13. Juli 2014 den Weltpokal in den Himmel von Rio de Jainero halten wird - die Welt hat wieder ein bisschen mehr Identität gewonnen. Und ein bisschen mehr Bewusstsein dafür, dass es nicht allein auf Brot und Spiele ankommt. Denn selbst wenn wir Deutschen nicht gewinnen sollten - in Kenntnis vergangener Bilder über die Freude von Menschen aus Costa Rica, Algerien oder Kolumbien, die stolz sind, obwohl sie verloren haben, erhalten wir Couchpotatoes und Rudelgucker eine Ahnung von dem, was uns Menschen vereint.


Halbfinale

Einige Menschen entsagen dem Fussball ganz bewusst. Andere sehen es mit Genuss und erkennen im Fussball tatsächlich einen Sinn - Brot und Spiele ohne Blut. Dazu der aktuelle Essay im Kultur-Magazin.

Für alle, die sich in der Fussball-Historie nicht so gut auskennen - mit dem Einzug ins Halbfinale hat Deutschland einmal mehr seine beeindruckende, konstante Präsenz in diesem Sport über Jahrzehnte zementiert. Deutschland hat sich seit 60 Jahren immer für ein Endrunden-Turnier qualifiziert und war immer mindestens unter den besten acht. Die Bilanz im Detail:

3x Weltmeister (1954, 1974, 1990)
4x Vize-Weltmeister (1966, 1982, 1986, 2002)
4x Dritter (1934, 1970, 2006, 2010)
1x Vierter (1958)

Ausserdem hat keine Mannschaft - auch nicht Italien oder Brasilien, welche mehr WM Titel haben - mehr Spiele bei Weltmeisterschaften bestritten. Das Jahr 2014 jedenfalls wird auch zu dieser Aufstellung gehören - es ist nur noch nicht klar, in welche Kategorie. Dieser Frage kommen wir am Dienstagabend ein wenig näher.

Als ich die Spiele der WM getippt habe, da lag ich bei den Ergebnissen voll daneben. Kein einziges Viertelfinale habe ich in der Paarung richtig getippt. Aber im Halfinale passt wieder fast alles zusammen. Drei der vier Mannschaften, die jetzt im Halbfinale stehen, waren in meinem Tipp ebenfalls im Halbfinale. In meinem Tipp verliert Deutschland das Halbfinale gegen Brasilien - da bin ich mir allerdings nicht mehr so sicher.

2. Juli 2014

Der Weg des Elefanten durch das Nadelöhr



Als kreativer Dorfpoet habe ich mir die Freiheit genommen, das Kamel durch einen Elefanten zu ersetzen. Klotzen statt kleckern. Der Elefant ist mir sympathischer und das Kamel fordert wegen seiner Höcker immer zu tiefergehenden Analogien auf, die mir nur selten einfallen wollen. Dorfpoet halt.

Ein Sprichwort besagt, dass eher ein Kamel durch ein Nadelöhr ginge, als dass ein bestimmtes Ereignis einträte oder sich ein Mensch zu einer bestimmten Tat aufraffen könne. Allein um meiner Einschätzung, dass dies nicht immer der Wahrheit entspricht, das nötige Gewicht zu verleihen (im wahrsten Sinne des Wortes), ersetze ich das Kamel durch einen Elefanten. Wenn schon, denn schon … .

Zunächst einmal kommt es weder auf den Elefanten noch auf das Nadelöhr an. Und schon gar nicht auf die Absurdität, beides wie auch immer miteinander kombinieren zu wollen. Soll der Elefant durch das Nadelöhr passen, dann kommt es auf den Weg des Elefanten, den er einschlägt, an. Und außerdem … es gibt ja für alles Regeln und Normen. Wie groß aber ein Nadelöhr überhaupt sein darf, dazu sind mir keine Definitionen bekannt.

Kommt man darüber hinaus nach dieser gewichtigen Modifikation - Elefant statt Kamel - eines an Absurdität nicht zu überbietenden Sprichwortes womöglich dazu, einen gemeinen Elefanten mal nach seiner Befindlichkeit in Bezug auf diese Änderung zu befragen, so wird man vermutlich gleich mehrere gewichtige Statements bekommen.

Wie man denn überhaupt dazu käme, ihm eine solche Bürde aufzuerlegen. Er habe doch gerade erst bewiesen, dass er im Porzellanladen ganz gut zurechtgekommen sei. Er habe schließlich gezeigt, dass es für den Elefanten im Porzellanladen nur auf eine ausdauernde Geduld ankomme. Auf nichts anderes. Vorsicht vielleicht auch. Vorsicht aber, ist nur der kleine Bruder der Geduld.

Überhaupt solle man erstmal das Kamel in den Porzellanladen schicken, anstatt einen Elefanten durch das Nadelöhr. Aber ein richtig stolzer Elefant würde vermutlich sowieso ordentlich hinterfragen, was der ganze Unsinn, denn überhaupt soll. Ob man sich keine besseren Geschichten ins Blogs ausdenken könne. Ob man wirklich Kamele und Elefanten derart intellektuell missbrauchen müsse.

Und ein noch größerer, noch stolzerer Elefant, hat längst den Rüssel voll von diesem metaphorischen Müll. Er wird gar nichts dazu sagen. Eine Safari nach der anderen - und wetten, sie bekomme kein einziges Statement? Es geht sogar das Gerücht um, dass Elefanten von Porzellanläden und Nadelöhren noch nie etwas gehört haben. Aber, das ist nur ein Gerücht. Auch Kamelen sagt man das nach. Ein Kamel soll neulich sehr unwissend geschaut haben, als man ihm ein Nadelöhr vor die Nase gehalten hat.

Es ist überhaupt nicht gut, wie wir Menschen diese animalischen Analogien ziehen. Besonders schlimm wird es, wenn wir persönlich werden, physikalisch, biologisch … Schmetterlinge im Bauch, Hummeln im Arsch oder Läuse, die unablässig über Lebern laufen. Vom „Vogel haben“ oder "´nen Affen kriegen" ganz zu schweigen. Und das harte Los der großen Säugetiere wiegt da besonders schwer.

Also, Schluss damit - Den Weg des Elefanten durch das Nadelöhr gibt es nicht. Es gibt auch keine Kamele in Porzellanläden. Und wissen sie was? Auch wenn sie diese Analogien jetzt wieder richtig zuordnen - sie sind dann nicht weniger absurd. Intellektuell sind die bestenfalls ein Mysterium rätselhaften Ursprungs. So wie manch ein Blogeintrag eines Dorfpoeten.