30. März 2013

DEPECHE MODE - DELTA MACHINE, Rezension.

Zum ersten Mal hatte ich Probleme mit meinem Nachbarn unter mir. Nein, der Herr ist nicht besonders empfindlich, sicher nicht. Es ist mein doch sehr basslastiger iPod Ghetto-Blaster, der die Wände wackeln lässt. Und es ist die basslastige DELTA MACHINE, das neue, 13. Studioalbum von Depeche Mode. Vollbepackt kam ich von meinem Urlaub wieder, an einem Samstagabend, ging mit Sack und Pack in den CD Laden kurz vor Ladenschluss und als ich zu Hause war, habe ich die Machine angeschmissen. Sonntagabend hatte mein Nachbar dann genug. Ich hatte Mitleid mit ihm. Aber - für DELTA MACHINE sollte man gute Kopfhörer haben.

Nach nun mehrmaligem Durchhören, auch als durchaus kritischer Fan (bei den beiden Vorgängeralben gab es schon einige Tracks, die man immer wieder „geskipped“ hat) kann ich sagen: Was für ein grandioses Meisterwerk!

Mit „Heaven“, der ersten Single, haben Depeche Mode ihrer Kritiker auf´s Glatteis geführt. Eine ganz ruhige Ballade, die einige sich erst „schönhören“ mussten, habe die „Richtung vorgegeben“. So Dave Gahan, der Sänger, in einem Interview. Und damit haben viele den Blues überinterpretiert. DELTA MACHINE soll elektronischer Blues sein. Da es bisher keine Band gibt, die so etwas definiert hat, konnte man erwarten, dass sich Depeche Mode etwas Besonderes haben einfallen lassen.

Haben sie - düster, sehr basslastig, es wummert und dröhnt überall. Im Gegensatz zu den letzten beiden Alben, ist hier die Dichte an potentiellen Depeche Mode Klassikern sehr hoch. Der Opener „Welcome To My World“ beginnt da, wo „Sounds Of The Universe“ aufgehört hat. Die Samples in diesem Song erinnern an den Song „Ghost“, der als Bonustrack vom letzten Album der eigentliche Favorit vieler Fans war. Dann die schon bekannten Tracks „Angel“ und „Heaven“. Aggressiver, rotziger Song mit ungewöhnlichem Tempowechsel trifft auch Melancholie pur. Und danach wird es spannend. Danach kommen die ganz neuen Songs, von denen erst eine Woche vor dem Release bei David Letterman einige gespielt wurden. Es beginnt mit „Secret To The End“. Depeche Mode bedienen sich zu Beginn bei Daft Punk - der Song hat einen melodischen, traumhaften Refrain. Weitere Highlights sind „Should Be Higher“ und der einzige von Martin Gore gesungene Song „The Child Inside“. Songs wie „Slow“ oder „My Little Universe“ polarisieren die Fangemeinde - für mich brauchen diese Songs etwas länger, bis sie gefallen.

Die absoluten Highlights sind „Broken“ und „Alone“. Beide Songs gehören zu dem allerbesten, was Depeche Mode je gemacht haben. „Broken“ zeigt beim Refrain einen Dave Gahan in Bestform. „Alone“ ist der fette Stampfer, der bei den Konzerten die Stadien erbeben lassen wird. Und am Ende ist sie dann da. Die Blues-Gitarre. Da vereinen sich Blues und Samples tatsächlich. „Goodbye“ ist hoffentlich keine Aussage, die die Zukunft der Band betrifft. Damit muss man bei Depeche Mode ja langsam rechnen.

Die Deluxe-Edition hat vier weitere Songs, passend in das Konzept der DELTA MACHINE. Highlight hier ist „All That´s Mine“, ach was sage ich - alle vier Songs sind Highlights.

DELTA MACHINE gehört zu den besten Depeche Mode Alben aller Zeiten. Wäre es das Album einer Newcomerband, dann wäre es ein Durchbruch - und selbst bei Depeche Mode eigenen Maßstäben hält es Vergleichen mit „Violator“ oder „Music For The Masses“ stand.


22. März 2013

Machen wir uns nichts vor



Wir suchen doch alle unseren Platz. Dann sind wir an einem Ort. So schön beschaffen, so ruhig, so beschaulich. Wir haben ihn gefunden. Den Ort, der uns in uns hineinhören lässt. Und haben wir ihn gefunden und müssen wir ihn wieder verlassen, dann wissen wir nicht, ob die Gewissheit, den passenden Ort gefunden zu haben oder ob es einfach nur das sich Zurückwünschen schöner Momente ist, was uns weiter antreiben wird. Wir wollen zurück. Wir wollen immer wieder zurück.

Die Fragen des "Wo?" und des "Wann?" werden mit diesem Ort und mit "am liebsten immer" beantwortet - aber wir machen uns eines vor: wir glauben auch das "Wie?" wird durch die Beschaffenheit, die Schönheit, die Beschaulichkeit des Ortes beantwortet. Beinahe übergehen wir das "Wie?" und sehen nicht nur die Frage, ja wir sehen die Antwort auf das "Warum?". Wir überspringen sogar dies und die Antwort auf das universale "Weshalb?" scheint uns zu erwarten.

Aber machen wir uns nichts vor.

Die wirklich wichtigen Fragen, werden wir nur unabhängig von dem Ort, an dem wir am liebsten sind, beantworten. Ich, der ich zurückkehren musste, behaupte sogar, dass wir sie gar zu allererst beantworten müssen, um an diesen Ort zu gelangen. Alles andere ist ein Leckerli der Natur. Eine Kostprobe auf den Lohn der Mühe, die wir uns machen müssen.

Machen wir uns nichts vor.


Nichts gibt es, ohne sich zu finden. Und nur allzu gerne erliegen wir der Illusion, uns finden zu wollen. Am schönsten Ort. Wir wünschen uns dort entsprungen zu sein. Es würde so schön passen. Schönheit, Beschaffenheit, Beschaulichkeit - sind Illusion, solange bis wir sie gefunden haben. Der schönste Ort ist in uns.

19. März 2013

Ruhe

Für jemanden, der das nicht nachvollziehen kann, ist so ein Urlaub auf einer Insel vermutlich weltfremd. Kaum soziale Kontakte, kein Fernsehen, kaum Internet (beides vorhanden, aber nicht wichtig, denn beides nicht Mittel zum Zweck). Wenn es dann passiert, dass man eingeschneit wird, draußen ein Schneesturm tobt, der Fährverkehr zeitweise eingestellt wird, dann hat man einen Rückzugsort gefunden, den ein Mensch wie ich wirklich braucht. Gemütlichkeit, unglaubliche Ruhe und das Sich-Einlassen auf die Dinge, zu denen man sonst keine Zeit hat. Oder glaubt, keine Zeit zu haben.

Ich bin hier mit Katie Melua, den Soulsavers, mit Kate Bush und The National. Ich bin hier mit Ian McEwan und Derek Parfit. Ich bin hier mit dem großen Berg, über den man gehen muss, wenn man ein Drittel einer großen literarischen Idee schon fertig hat und sich jetzt herausstellen muss, ob sich die schweren roten Fäden, die man so großzügig in den ersten Kapiteln ausgelegt hat, leicht zusammenfügen lassen. Oder nicht. Man ist auch hier, mit der Bereitschaft, alles vielleicht fallen zu lassen. Das ist dann wie die große Düne, die zur grandiosen Aussicht führt und der Weg zu ihr ist mit einem Bohlenweg, auf ihm eine dicke rutschige Eisschicht liegt, nur schwer erreichbar. Kleine, ganz kleine Wagnisse. Und am Ende wird man belohnt - mit unendlicher Weite, klarster Luft und Ruhe. Hatte ich die Ruhe schon erwähnt?

Die Tür des Balkons des Schlafzimmers offen. Kurz vor dem Schlafengehen. Draußen piepen die Wattläufer, die bei einsetzender Ebbe ihr Futter finden. Die letzte Fähre dampft ab, der Leuchtturm wirft seinen monotonen, beruhigenden Lichtkegel auf die Bettdecke. Das sind die acht Nächte des Jahres, in denen ich am besten schlafen kann. Was wie das Klischee einer einsamen Insel anmutet ist wirklich so.

Nach wenigen Tagen ist die Batterie wieder aufgetankt. Dann sucht man nicht nur die unendliche Weite des Strands. Nein, dann gehe ich auch regelmäßig meine Kumpels besuchen. Acht Schafe. Auf einem Deich neben dem Hafen. Ihr Blöken ist wie eine Aufforderung. Zurück mit Dir in Dein Appartement. Du bist genug hier rumgelaufen. Zeit, den Berg zu erklimmen.

Kein Problem. Sieht im Moment zumindest so aus. Ergebnisse gibt es dann hier. Irgendwann. Zum Feinschliff komme ich sowieso nochmal hierher.


Ruhe

16. März 2013

Ian McEwan - Am Strand. Rezension.

Ganz nüchtern betrachtet könnte man sagen: Endlich mal eine Liebesgeschichte ohne Happy End. Man hofft ja immer auf ein Happy End. Bei dieser Geschichte wäre diese Lösung aber zu einfach, ja geradezu dämlich gewesen.

 Die Geschichte spielt in England, Mitte der 60er Jahre. Edward und Florence, beide furchtbar ineinander verliebt, verbringen in einem Hotel an einem Strand das Abendessen ihres Hochzeitstages. Das Miteinander der beiden wird in vielen Rückblicken von McEwan detailliert dargestellt. McEwan spielt mit den üblichen Klischees, mit den tiefen, komplizierten Hinwendungen von Menschen zueinander, die eigentlich die Menschen auseinander führen. Florence gehört noch, standesgemäß, zu den Frauen, die sich für ihren Mann aufzusparen haben. So fiebert Edward der Hochzeitsnacht entgegen.

 Wer nun die prüde Frau und den völlig triebgesteuerten Mann erwartet hat … Recht. Und auch wieder nicht. McEwan spart diese Klischees nicht aus - im Gegenteil. Entscheidend sind aber die Gegensätze der beiden. Sie lieben sich nicht nur wegen ihrer Erwartungen füreinander, sondern auch für die tiefen Gegensätze in ihren Charakteren und ihrem Handeln. Aber sie sagen es sich nicht. Nicht wirklich. Diese Gegensätze sind tragendes Leitmotiv. Und weil ein wichtiger Gegensatz unausgesprochen bleibt, ist er es, der in die Katastrophe führt. Wie in keinem mir bisher bekannten Roman entlarvt McEwan die Wesentlichkeiten des Zwischenmenschlichen. Banal ist das Vorspielen von standesgemäßen Nuancen des Präsentierens der eigenen Herkunft. Noch banaler das überpotente männliche Gebaren, dass oft nichts mit Erfahrung, nichts mit wirklicher Männlichkeit zu tun hat. McEwan weiß das. Seine Protagonisten wissen das. Liebende sind immer an einem Neuanfang - alles, was war, greift ein in die Gegenwart und hat seinen Wert doch nur als unwirklicher Schein. Beide machen sich Vorwürfe, beiden fehlen die entscheidenden Komponenten, die nichts mit Trieb, Schönheit oder Erwartungen zu tun haben. Florence ist als Kind von ihrem Vater missbraucht worden. Edward, ihr Ehemann, arbeitet jetzt in der Firma von ihrem Vater. Er ahnt nicht, was in ihr vorgeht. Als es in der Hochzeitsnacht zu einem ersten intimen Kontakt kommt, flüchtet Florence an den Strand vor dem Hotel. Dort kommt es zur entscheidenden Aussprache. Florence ist nicht in der Lage, sich Edward zu offenbaren. Und er nimmt eine plumpe Aussage von ihr hin und wirft sich Jahrzehnte später vor, nicht genügend Geduld aufgebracht zu haben.

 „Sie kannten sich kaum und konnten sich auch nicht kennenlernen, weil ständiges höfliches Verschweigen ihre Unterschiede zudeckte und sie nicht nur aneinander fesselte, sondern auch zugleich füreinander blind machte.“ 

In der Geschichte steckt eine tiefe Tragik. Sie ist nachvollziehbar. Man ahnt ihren Verlauf. Und der Leser stellt sich die Fragen: warum so wenig Geduld, Edward? Warum so wenig Vertrauen, Florence? Und genauso sicher, wie dies die richtigen Fragen sind, genauso sicher ist es, dass sich die beiden Liebenden diese Fragen niemals stellen.

Eingebungen sind Stolpersteine



Ich wollte eine Geschichte mit dem fulminanten Satz  - “Als ich mir abgewöhnt hatte, über Engel zu schreiben …”  - beginnen - aber ich merkte schnell, dass die drei Pünktchen am Ende durch nichts Überzeugendes ersetzt werden können. Dieser Satz, dieser Beginn, ist fulminant, beschreibt er doch einen Teil der inneren Sublimation eines Dichters. Also fulminanter geht es nicht. Ein inneres Zerbersten ist leise - und durch die gewählten Worte bleibt alles in seiner Form. Es ist Kraft. Eine Herzenskraft. Kein Versagen.

Aber - das ist pure Effekthascherei. Künstliche Künstlichkeit. Doppelt gemoppeltes, inneres Gefälle, zum Bersten gebracht.
Nach so einem Satz bleibt nichts übrig. Die Engel sind ja nur Platzhalter. Für alle diejenigen Abstraktionen in mir, die sich auch mit Hoffnung beschreiben lassen, mit Sehnsucht melodramatisieren und mit Lyrik modelieren lassen. Sie lassen sich mit Schicksal erklären, mit Freiheit umschreiben und mit Liebe begründen. Nehme ich diesen Platzhalter heraus, bringe ihn zum Zerbersten, dann finden die Eingebungen ihre innere Hülle nicht mehr.

Es wäre so, als würde ich mir selbst die Flügel aufsetzen. Nein, das sieht nicht aus. Das passt nicht.

Zurückrudern also. Die Fulminanz herausnehmen, aber die Intention bewahren. - “Als ich merkte, dass der Engel seine Strahlkraft verloren hatte …” - nein, das ist auch nicht gut. Es passt nicht. Weil es nicht stimmig ist.
Ein Engel ohne Strahlkraft ist gar kein Engel. Es wäre so als würde ich schreiben “Als ich auf dem nicht mehr weissen Schimmel ritt …”

Ich will weg von den Engeln. Ich suche nach einer Metapher für eine Metapher. Nach einer universellen Variable. Weglassen von Variablen führt zu einer banalen Aussage. Ohne Mehrwert. Aber eine aussagekräftige Variable muss sein.

Engel bleibt Engel. Es gibt nur zwei Wörter, die in ihrer Strahlkraft stärker sind: Herz und Liebe. Engel, Herz und Liebe. Herz und Liebe sind individuell. Engel ist die Abstraktion von Lyrik, Schicksal, Freiheit.
Von hinten durch die Brust ins Auge: Manche Eingebungen sind wie Stolpersteine. Egal welche Form sie haben. Sie bleiben Stolpersteine. Dabei ist es so einfach:


“Als ich mir abgewöhnt hatte, nach einem Ersatz für einen Engel zu suchen …”

14. März 2013

Seele baumelt.






Die Zeit, in der der Akku aufgeladen wird. Jener Innere, welcher Kraftquelle für dort liegenden Kompass ist. Wenn die Seele baumelt, wird das Gemüt eingeordnet. Diese Zeit ist die Reise zu einer Suche. Der Schatz an den Enden des Regenbogens. Ja, da wird jede Metapher zu klein. Da steigt der Anspruch des Dorfpoeten, wieder neue lyrische Bilder zu finden. Sie sind hier versteckt, wie der Sand am Meer. Manche Bilder lassen wir aus. Selbstfindung. Oder so etwas. Ist zu billig. Lassen wir weg.

Die Phantasie erlaubt die Spurensuche - zuerst erlischt, beim ersten Baumeln der Seele, die dumpfe Uninspiriertheit. Sonnenuntergänge haben wieder Geltung. Sind nicht mehr länger die Vorboten eines neuen Tags im Alltag. Sind nicht mehr länger stummer Abgesang einer Tretmühle. Wenn die Seele baumelt, dann nicht wie an einem Strick, nein vielmehr zehenspitzfindig, touchierend, eine Oberfläche. Was zugleich den Wind aufleben lässt. Ja, besonders die kalten Jahreszeiten sind schön, höchstens ein bisschen Vorfrühling gönne ich meinem Gemüt, bis hin zum Kitsch: Der Tee, der Rotwein, der Kerzenschein. Es gibt Orte, die sind so schön, die zeigen wie selbstverständlich, welche Spuren zu einem Plan führen, und von ihm weg, wieder zur inneren Ruhe. Ich kriege einen Plan von mir, einen Weg, wieder die Worte zu finden, von denen ich noch nicht gewusst habe, dass sie mir abhanden gekommen waren.

Nachzudenken
Über das was man hinterlässt
Ist größer
als jeder andere Gedanke

Ist wichtiger
als alles jemals Gedachte
Ist wichtiger noch
als die Spuren selbst

Die eigenen Spuren zu lesen
Lehrte mich die Insel
Und ich verirrte mich gerne
Im Labyrinth ohne Wände

Einen Ausgang
gibt es nicht
Nur die Mitte

Nur die Ruhe.

12. März 2013

Der Visionär – ein Stinker, eine Heulsuse?

Steve Jobs selbst hat diese Biographie autorisiert. Isaacson, der zuvor mit Biographien über Albert Einstein und Henry Kissinger bekannt geworden ist, hat – ohne es vermutlich in dem Moment, in dem er den Auftrag annahm – mit dieser Biographie seinen größten Coup gelandet. Nicht nur in Deutschland ist dieses Buch seit Wochen auf den vorderen Plätzen der Bestsellerliste zu finden.

Von Peter Killert.


Killert 92Sicher trägt der tragische Tod des Apple – Gründers dazu bei. Die Frage, ob diese Biographie auch ohne Tod von Steve Jobs ein Bestseller geworden wäre, erübrigt sich. Ich behaupte dennoch, dass dies so wäre. Dabei hatte Isaacson lange gezögert, dieses Buch überhaupt zu schreiben. „Wenn Sie über meinen Mann schreiben wollen, dann sollten sie jetzt mit ihrer Arbeit beginnen.“, sagte die Ehefrau von Jobs Ende 2008 zu dem Autor, ahnend, was das Schicksal bereithielt.

Zunächst hat Isaacson ein spannendes Buch über die Entstehung des Heimcomputers und wie er die Welt verändert hat geschrieben. Menschen, die eine Affinität zu Computern haben oder die in den 80er Jahren den langsamen Siegeszug dieser Geräte bis zur heutigen Dominanz im Alltag miterlebt haben, werden dieses Buch ungleich spannender finden als Menschen, die sich einen spannenden Einblick in die Seele eines Menschen versprechen. Letzteres liefert Isaacson zwar auch – er konzentriert sich aber auf technische Entwicklungen.

Wir wissen nicht mehr, wer das Rad erfunden hat. Es ist eine so banale Erfindung, dass wir uns gar nicht vorstellen können, wie man ohne diese Selbstverständlichkeit jemals auskommen konnte. Sie vermuten jetzt sicher, dass ich auf den MP3 Player anspreche, auf das Telefon mit Touchscreen, dass nicht mehr wegzudenken ist. Nein, mache ich nicht. Das wäre banal.

Wir wissen, wer zum ersten Mal Mikroprozessoren für den Privatgebrauch eingekauft und auf einer Platine so zusammengelötet hat, dass ein Heimcomputer entstanden ist: das war Steve Wozniak, neben Steve Jobs Firmengründer von Apple. Wir wissen, wer die erste graphische Oberfläche für ein Betriebssystem entwickelt hat. Das war die Firma XEROX (richtig, die mit den Kopierern), die Firma, bei der Steve Jobs die Idee für ein lächerliches Apple Aktienpaket eingekauft hat. Wir wissen, Musik zuerst in ein komprimierbares Format umgewandelt und unter die Menschen gebracht hat – Napster, vor gerade Mal zehn Jahren.

Es gibt aber nur eine Person, die das Potenzial hinter alle dem erkannt hat. Diese Person hat nicht das Rad erfunden, sondern alles andere gleich mit dazu, insbesondere das Geschirr für die Pferde, die den Wagen ziehen. Diesen Eindruck bekommt man von Steve Jobs beim Lesen der Biographie. Aus dem scheinbar Banalen das Zukunftsträchtige erkennen und vermarkten – das war die Stärke dieses Ausnahmemenschen.

Besonders zu Beginn von Apple und bei der Entwicklung des MacIntosh wird das deutlich. Wozu eine Maus, wenn die Tastatur Cursortasten hat? Wozu eine ressourcenfressende graphische Oberfläche? Das kauft doch keiner. Steve Jobs war außerdem in der Lage dieses Potenzial gegen mehr als rationale Widerstände durchzusetzen. Neuerungen machten ihm keine Angst. Die scheinbaren Widersprüche zwischen konsequenter Askese und unsäglichem Reichtum lösten sich auf in der Kraft, diese Widerstände aufzulösen.

Dabei beschreibt Isaacson Steve Jobs keinesfalls als „iGod“ oder als den Messias unserer Zeit. Keineswegs. Steve Jobs kommt eigentlich ganz schlecht weg. Die Ablehnung seiner Tochter Lisa, deren Mutter er bezichtigt, es mit halb Kalifornien getrieben zu haben und zu der er erst sehr spät eine Beziehung aufbaut. Dann der penetrante Körpergeruch, der ihn umgibt, ausgelöst durch seine bizarren veganischen Ernährungsgewohnheiten. Der verachtenswerte Umgang mit denen, die ihm im Weg standen. Und die vielen Fehler, die vielen falschen Einschätzungen, die seine Firma NeXT zum Misserfolg werden ließen.

Isaacson malt ein sehr rationales Bild und das kuriose dabei ist, das Steve Jobs durch dieses Bild seine Bedeutung behält. Man fragt sich an vielen Stellen, wie so jemand derartig das Leben von so vielen Menschen verändern konnte. Einerseits die Askese – Steve Jobs hat zum Beispiel niemals richtig ein Haus oder eine Wohnung eingerichtet – andererseits das große Verlangen nach Erfolg und Anerkennung. Sicher kann man behaupten, dass Geld und Zahlen für Jobs persönlich keine Rolle gespielt hätten. Schaut man aber im Internet seine Keynotes noch einmal an, dann fällt auf, dass sich Jobs zwei Drittel der Zeit mit Zahlen beschäftigt. Wie viele Macs wurden verkauft, wie viele Songs, wie groß der Marktanteil. Isaacson beantwortet diesen Widerspruch nicht – vielmehr sieht er in ihm die Triebfeder dieser Energie. Dazu gehört die Weinerlichkeit, die Isaacson immer wieder anspricht. Waren die Menschen gegen ihn, dann begann Jobs zu weinen – eine solche Situation wird von Isaacson mehrfach beschrieben.

Am Ende kann kein Geld der Welt, keine Energie, kein Ärzteteam den Lauf des Schicksals ändern. Was bleibt ist eine Gewissheit, die man vor dem Lesen dieser Biographie gar nicht hat glauben mögen: der Erfolg der Apple Produkte und ihr Erfolg hängen wirklich mit dieser einzelnen Person zusammen. Es gibt keinen Weg für Apple, dieses Image ohne einen Menschen wie Jobs aufrecht zu erhalten. Jobs war eine Ausnahmepersönlichkeit von der er es in jeder Generation nur eine Handvoll gibt. Die Pionierzeit der Computerindustrie ist endgültig vorbei. Wie oft fällt so ein Statement mit dem Ende des Lebens eines solchen Pioniers zusammen? Nur dann, wenn ein Biograph dies in einem höchst interessanten Buch manifestiert.

(Grundlage für diese Rezension war übrigens die eBook Variante der Biographie. Die vielen Übersetzungs- und Rechtschreibfehler in der Druckversion, kann ich nicht bestätigen.)